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Fragen & Antworten mit Prodzent Jani Thiltges

F: Sie haben mehr als 80 Filme produziert. „Wo ist Anne Frank“ ist jetzt Ihr erster Animationsfilm. Wie kam es zu diesem Genrewechsel?

A: Wir waren der Ansicht, dass Animation das geeignetste Medium ist, um der jüngeren Generation Anne Franks Vermächtnis zugänglich zu machen. In Zeiten zunehmender Holocaustleugnung und eines wachsenden Bewusstseins für die Verbreitung von Rassismus, war es über die Jahre hinweg ein Leitgedanke, einen Holocaust-Film zu machen.

 

F: Und wie drückt sich diese neue Dimension im Film aus?

A: Ari Folmans außergewöhnliche Lösungen für ein anspruchsvolles Thema: Der Anne Frank Fonds in Basel wollte einen Film mit Gegenwartsbezug über Kitty und die letzten sieben Monate von Margot und Anne nach Ende des Tagebuchs. Die Idee, Kitty zur Hauptfigur zu machen, ist ein Geniestreich von Ari Folman.

 

F: Die Entstehung des Films hat viele Jahre in Anspruch genommen. Worauf kommt es für Sie als Produzent an, sobald die Produktion in einem solchen Fall tatsächlich anläuft?

A: Für mich als Produzent ist es das Wichtigste, dem anfänglichen Grundgedanken für die Entstehung des Films, den ich, aber auch der Regisseur, hatten, treu zu bleiben. Genau wie bei jeder anderen Filmproduktion arbeiten auch bei einer Animation Hunderte von Menschen an dem Projekt mit und bringen unzählige Fragen und Herausforderungen mit ein. Man muss unbedingt an seiner ursprünglichen Überzeugung festhalten und sorgfältig abwägen, was man im Moment tut, um zu verhindern, dass man gegen seine Ursprungsidee arbeitet. 

 

F: Wie lässt sich ein Holocaust-Film mit Bildungsauftrag, der einen Bezug zur Gegenwart herstellen soll, mit einem fesselnden, künstlerisch anspruchsvollen Film vereinbaren?

A: Ich finde, dass wir einfach einen Film gemacht haben, der der jungen Generation das Tagebuch der Anne Frank zugänglich machen soll. Einer Zielgruppe, die das Buch zwar noch nicht gelesen hat, aber sich den Film anschauen würde. Das ist unser Hauptziel gewesen. Es versteht sich jedoch von selbst, dass wir Filmemacher:innen und keine Politiker:innen sind. Das Wichtigste für uns ist, einen Film zu machen, der gut, aussagekräftig und verständlich genug ist, um unsere Ziele zu erreichen. Mit diesem Film werden wir – und davon bin ich überzeugt – ein großes internationales Publikum erreichen.

 

F: Mithilfe von Animation können Sie alles Erdenkliche tun. Welche Grenzen wollten Sie als Produzent nicht überschreiten?

A: Ich hatte nie das Gefühl, dass ich eine Aufsichtsrolle übernehmen musste. Der Film entwickelte sich sehr dynamisch, da er über einen langen Zeitraum hinweg produziert wurde. Als Produzent muss man dem Regisseur volles Vertrauen entgegenbringen. Selbstverständlich kann während der Produktion eingegriffen und nachgeholfen werden, wo es nötig ist. Die Auswahl der/des Regisseur:in bildet jedoch das Fundament jeden Films. Wir alle wussten, was Ari Folman bereits auf die Beine gestellt hatte und was wir von ihm erwarten konnten. Die große Herausforderung bestand in diesem Projekt eindeutig darin, zu zeigen, was aus Anne Frank wurde, als sie deportiert wurde und das Tagebuch somit endete. Wie schafft man es, den Holocaust in einen Film zu packen, der auch für Kinder und Familien gedacht ist? Dies hat Ari Folman auf eindrucksvolle Weise erreicht, was einer der Punkte ist, der mich an diesem Film besonders begeistert. 

 

F: „Wo ist Anne Frank“ ist der erste internationale Holocaust-Film für Kinder und Familien. Was hat Sie daran gereizt, sich auf ein Projekt dieser Art einzulassen?

A: Neben dem Punkt, dass es sich um einen Holocaust-Film handelt, der für Familien gemacht wurde, hat mich auch die Aufgabe angesprochen, eine zeitgemäße Perspektive des Holocausts zu schaffen. Während Kitty die Gegenwart mit ihrer jungen, zeitgenössischen und geistreichen Art darstellt, steht Anne für die Vergangenheit. Und das parallel. Das ist die Antwort auf die Frage, wie wir das Thema für ein junges Publikum verständlich machen können. 

 

F: Der Film hat auch einen stark politischen Bezug. Ist es für Filmemacher:innen überhaupt wichtig, diese Art von Film zu produzieren?

A: Nachdem ich den Film zum ersten Mal gesehen hatte, war ich stolz und gerührt, da ich finde, dass dies ein wichtiger Film ist, der in der heutigen Zeit unbedingt gezeigt werden muss. In einer Zeit, in der die unterschiedlichsten Formen von Rassismus, Zuwanderung und jeglicher Art von Gewalt existieren, ist die Botschaft des Films besonders wichtig. Ich glaube, darauf bin ich am meisten stolz. 

 

F: Der Film wird inmitten einer weltweit politisch angespannten Situation veröffentlicht. Was bedeutet das für Sie?

A: In vielen Ländern erleben wir heutzutage Populismus, Rechtsextremismus, sogar Faschismus und eben auch Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Auch wenn ich denke, dass allein ein Film nichts daran ändern kann, so bin ich der Meinung, dass es wichtig ist, dass wir als Filmemacher:innen alles daran setzen, dass Filme einen Beitrag dazu leisten, dass eine andere Geisteshaltung und politische Einstellung Einzug hält.

 

F: Als Produzent setzen Sie, Ari Folman und das gesamte Team sich dafür ein, den Film mit einem Bildungsprogramm für Schulen zu verknüpfen. Warum?

A: Wir haben gleich von Anfang an mit dem Anne Frank Fonds zusammengearbeitet, um dieses pädagogische Begleitmaterial zum Film herauszubringen. Unser aller Bestreben ist es, diesen Film in die Schulen, zu Kindern und Jugendlichen zu bringen, um so eine Auseinandersetzung mit den heutigen Problemen, aber auch mit der Bedeutung der Geschichte von Anne Frank in der heutigen Welt zu fördern. Dabei geht es nicht ausschließlich um den Holocaust, der natürlich nie in Vergessenheit geraten darf, sondern auch um die Lehren, die wir daraus für unser eigenes Leben ziehen können. Somit besteht die Aufgabe nicht nur darin, auf die damaligen Ereignisse zurückzublicken, sondern auch zu erkennen, was das Wesentliche am Tagebuch und seiner Botschaft für die neue Generation ist. 

 

F: Das Bildungsprogramm thematisiert den Holocaust, die jüdische Bevölkerung und Antisemitismus, aber auch Kinderrechte, Migration und Flucht in der Gegenwart. Der Film behandelt diese Themen zu einer Zeit, in der eine Auseinandersetzung damit dringend notwendig ist. Was können Sie uns darüber erzählen?

A: Bedauerlicherweise ist unser Film gerade jetzt sehr wichtig, denn die darin angesprochenen Probleme, die Gefahren für Angehörige von Minderheiten und Kinder sowie Krieg, sind heute so aktuell wie nie zuvor. Diese Erkenntnis macht mich nicht gerade stolz auf die Menschen und ich bin der Auffassung, dass wir uns alle mit diesen Problemen befassen müssen. Bei diesem Prozess ist unser Film nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber wir tun, was wir als Filmemacher:innen können.

 

F: Hinter der Geschichte stehen ein Vermächtnis und ein familiäres Schicksal. Wie sind Sie als Produzent mit diesem Wissen umgegangen?

A: In dieser Hinsicht war die Zusammenarbeit zwischen Ari, dem Anne Frank Fonds in Basel als Otto Franks Alleinerben und mir nicht besonders kompliziert. Ich stieß erst zum Team, als die Arbeiten an dem Film begannen, also vor fünf Jahren. Zu unserer großen Freude haben uns die noch lebenden Familienmitglieder und der Anne Frank Fonds zu keinem Zeitpunkt Grenzen gesetzt, sondern uns immer unterstützt, wenn wir Hilfe brauchten. Die Archive waren für uns immer zugänglich und zu keinem Zeitpunkt gab es jemanden, der gesagt hat „Das könnt ihr so nicht machen“. Wir haben natürlich alles besprochen und unsere Gedanken dargelegt, aber es war immer eine vertrauensvolle Beziehung und es wurde niemals Druck ausgeübt. Es stand uns völlig frei, etwas zu schaffen, das anders als das Tagebuch ist. Etwas, das ein Kunstwerk ist und das, wie wir hoffen, auch ein gewisses Maß an Unterhaltung bietet. Vermutlich liegt das auch daran, dass es uns allen von Anfang an sehr wichtig war, uns über die Art des Films, den wir machen wollten, im Klaren zu sein. In diesem Sinne hatten wir eine Art moralischen Deal.